Wir unterschreiben den offenen Brief der Seebrücke:
Sehr geehrte Mitmenschen,
sehr geehrte Stadträt:innen aller demokratische Parteien,
die untragbare und unmenschliche Situation der geflüchteten Menschen auf den griechischen Inseln hat sich in den letzten Monaten nur noch weiter verschlimmert: Die permanente Bedrohung einer unkontrollierten Ausbreitung der Covid19-Erkrankung in den Lagern, in denen es weder ausreichend hygienische, noch medizinische Versorgung gibt, bleibt bestehen. Hinzu kommen die Brände auf den Inseln Samos und Lesbos, sowie die verschärfte Repression seitens der EU-Politik. Erst vor wenigen Tagen berichteten Journalist:innen vor Ort von einem weiteren Brand auf Samos.
In der Nacht vom 8. auf den 9. September 2020 zerstörten mehrere Großbrände das Camp Moria auf Lesbos. Sie hinterließen, laut ProAsyl, mehr als 12.500 Menschen ohne Obdach. Statt die Bewohner:innen des abgebrannten Lagers zu evakuieren, wurde innerhalb kürzester Zeit ein neues, provisorisches Lager gebaut: „Kara Tepe“ – errichtet auf militärischem Gebiet, mit Munitionsresten im Boden, ohne Anschluss zu Wasserversorgung, ohne Schutz vor Kälte und Witterung, ohne genügend Nahrungsvorräte und ohne Elektrizität. In diesem Lager sind derzeit etwa 7.500 Menschen ohne jegliche Sicherheit und mit Ausgangssperren untergebracht. Wenige Tage später versprach die Bundesregierung die Aufnahme von 1553 Menschen, bis heute wurden davon gerade einmal 101 Menschen aufgenommen. Das Bundesinnenministerium kann nicht einmal klar sagen, ob bis Ende des Jahres alle Menschen aufgenommen werden, obwohl jeder einzelne Tag ohne Grundversorgung, für die Menschen in den Lagern eine Tortur ist, die zudem die immer währende Gefahr einer Ansteckung mit Covid19 birgt. Bereits Anfang des Jahres warnten NGOs und zivilgesellschaftliche Bewegungen vor dem Ausbruch der Pandemie in den Lagern. Ohne die nötigen Hygienemaßnahmen war die derzeitige Lage nur eine Frage der Zeit. Ende September gab es laut der staatlichen Gesundheitsagentur Eody 243 bestätigte Fälle von 7000 Getesteten.
Gleichzeitig werden selbstverwaltete Strukturen zerstört: Im Camp Pikpa auf Lesbos führten Geflüchtete seit 2012 in selbstorganisierter Gemeinschaft ein im Vergleich zum Camp Moria sicheres und menschenwürdiges Zusammenleben. Das Camp wurde Ende Oktober 2020 gewaltvoll geräumt. Etwa 19.000 Menschen müssen auf den Ägäischen Inseln leben; über 13.000 Menschen sind seit den Bränden ohne Dach über dem Kopf; Kinder und ihre Familien müssen um ihr Überleben kämpfen. Seit März haben es ca. 24.000 Menschen auf das griechische Festland geschafft, doch auch dort sind sie in Lagern gefangen oder müssen draußen auf der Straße leben, da sich die griechische Regierung nicht um sie kümmert. Dass wir ihnen nach ihrer Flucht auch noch die letzte Menschenwürde nehmen, darüber werden auch keine 1.553 aufgenommenen Geflüchtete hinwegtäuschen. Und selbst von diesen müssen erst einmal alle hier ankommen. Dabei hat Deutschland die Mittel, alle Menschen aufzunehmen – und zwar sofort!
In den vergangenen Jahren haben sich allein in Deutschland über 200 Städte und Kommunen zum „Sicheren Hafen“ erklärt – so auch Magdeburg. Sie sind bereit, jetzt sofort Menschen aufzunehmen und fordern seit Langem, zusammen mit zahlreichen Hilfsorganisationen und NGOs, die sofortige Aufnahme der Menschen aus den griechischen Lagern. Innerhalb Sachsen-Anhalts erklärte sich neben Magdeburg die Stadt Halle zum „Sicheren Hafen“. Der Hallenser Stadtrat stimmte der Aufnahme von 150 Menschen zu. Doch politischen Entscheidungen müssen auch Taten folgen! Magdeburg ist bereits seit Ende 2019 „Sicherer Hafen“, doch seitdem ist nichts passiert! Der letzte interfraktionelle Antrag im Stadtrat der Fraktion GRÜNE/future! und DIE LINKE mit dem Willen zur Aufnahme von 85 Menschen wurde von der SPD-Fraktion mit einem Gegenantrag torpediert. Die SPD-Fraktion forderte, 5 Menschen aufzunehmen, was an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist. Am Ende freute sich die AfD. Hiermit appellieren wir an die Stadträtinnen der demokratischen Parteien in Magdeburg: Werden Sie unserer Erklärung als „Sicherer Hafen“ und damit der Verantwortung gerecht, Menschen in Not aufzunehmen und würdig unterzubringen!
Im März gab die Stadt eine Information zum Thema „Entwicklung der ausländischen Bevölkerung in Magdeburg“ mit dem Stand von Dezember 2019 heraus. Aus dieser wird ersichtlich, dass in Gemeinschaftsunterkünften und in dezentraler Unterbringung insgesamt
500 Plätze frei sind, davon 127 in dezentraler Unterbringung und Übergangswohnungen. Diese Kapazitäten sollten genutzt werden! Wir fordern von der Stadt Magdeburg die sofortige und sichere Aufnahme von 500 Menschen in Not. Darüber hinaus fordern wir langfristig eine
dezentrale Unterbringung aller geflüchteten Menschen in Magdeburg, besonders in Zeiten einer Pandemie! Mit Blick auf den Leerstand in Magdeburg ist dies absolut möglich: Laut des Statistischen Landesamt Sachsen-Anhalt waren Ende 2019 21.000 Wohnungen unbewohnt.
Wenn politisch entschieden wird, Menschen in Not allein zu lassen, macht sich jeder Mensch an der desaströsen Lage an den europäischen Außengrenzen mitschuldig, sofern er nicht dagegen protestiert und das Nötigste tut. Wir sind wütend, protestieren gegen das kollektive Zusehen und Nichts-Tun und fordern: Die sofortige Aufnahme der Menschen in Not auf den griechischen Inseln!
Solidarity will win,
Seebrücke Magdeburg